Meine Meinung
Auf der UN-Klimaschutzkonferenz in Glasgow debattieren Vertreterinnen und Vertreter aus der ganzen Welt über den Klimaschutz – zeitgleich tagte der Schweinfurter Kreistag am 04.11.2021 und diskutierte über die Rücknahme des Reaktivierungsbeschlusses der Steigerwaldbahn aus dem Jahr 2019. Unabhängig vom Ausgang der Gespräche in Glasgow, möchte ich dazu festhalten: Zielsetzungen auf UN-, EU-, Bundes- oder Landesebene reichen für wirklich effektiven Klimaschutz nicht aus. Auf die Ziele müssen konkrete Maßnahmen folgen – direkt vor Ort.
In Deutschland sind 20% der Treibhausgasemissionen auf den Verkehr zurückzuführen. Seit Jahren ist der CO2-Ausstoß hier nahezu gleichbleiben – ganz im Gegensatz zu anderen Sektoren, bei denen der Ausstoß teilweise drastisch reduziert werden konnte. Darum brauchen wir endlich eine echte Verkehrswende. Wir müssen weg vom Individualverkehr, hin zu mehr Öffentlichen Nahverkehr. Die Bahn stellt dabei das Rückgrat der Mobilitätswende dar, da im Vergleich zum Straßenverkehr Personen und Güter mit einem Bruchteil der Energie bewegt werden können.
Die Mitglieder des Kreistags Schweinfurt haben sich im Jahr 2019 gemeinsam auf den Weg gemacht die Möglichkeit einer Reaktivierung der Steigerwaldbahn zu prüfen und voranzutreiben. Es war von vornherein klar, dass es ein langwieriger Prozess werden wird. Mit dem gestrigen Aufhebungsbeschluss des Kreistags wurde dieser Weg leider vorerst gestoppt – ein Unding aus folgenden Gründen:
- Der von der CSU eingebrachte Antrag auf eine Machbarkeitsstudie für Autonomes Fahren (ÖPNV) auf der Strecke der Steigerwaldbahn steht damit vor dem Aus bevor er überhaupt diskutiert wurde, da hierfür zwingend die Strecke als Gesamtgrundstück erhalten werden muss. Aufgrund der Beendigung des Reaktivierungsprozesses fällt nun die für die Entwidmung der Strecke hemmende Wirkung weg. Sollte auch der Antrag auf Betriebsgenehmigung durch die Thüringer Bahn abgelehnt (siehe Punkt 2) werden, könnte der Streckeninhaber das Grundstück nach Entwidmung stückweise an die Meistbietenden veräußern. Der Antrag des CSU wäre hierdurch obsolet.
- Die Entscheidung des Regierung von Mittelfranken bezüglich der Betriebsgenehmigung für touristischen Verkehr und Güterverkehr auf der Strecke der Steigerwaldbahn durch die Thüringer Eisenbahn steht aus und wird aufgrund von Fristen noch im November erwartet. Diese Entscheidung hat erheblichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung der jeweiligen Gemeinderatsmitglieder bezüglich der Entwidmungsanträge der Anrainergemeinden: Wird dem Antrag stattgegeben werden zwar wieder Züge auf der Strecke fahren, jedoch kein Öffentlicher Nahverkehr. Die vorgebrachten Einwände bezüglich Einschränkungen der Bevölkerung durch Güterverkehr bleiben bestehen, die Gemeinden profitieren allerdings nicht von den Vorzügen des Schienenpersonennahverkehrs.
- Eines der vier vom Freistaat Bayern vorgegebenen Kriterien für eine Reaktivierung von Bahnstrecken ist der politisch (nicht wissenschaftlich!) festgelegte Grenzwert von 1000 Pkm (=Personenkilometer pro Kilometer Strecke: Anzahl der Personen zwischen zwei Zughaltepunkten multipliziert mit der zurückgelegten Strecke). Dieser Wert wird momentan innerhalb der Staatsregierung diskutiert und könnte in Kürze abgeändert werden. Laut Aussage des Staatsekretärs Eck steht die Zahl 750 Pkm derzeit im Raum. Die Potentialanalyse der BEG stellte für den Streckenabschnitt Schweinfurt – Gerolzhofen einen Wert vom 790 Pkm fest.
- Sowohl das Landratsamt Schweinfurt, als auch die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) bestätigten, dass ein Wert von 1000 Pkm grundsätzlich auf langen Strecken wie der Steigerwaldbahn aufgrund der Berechnungsmethoden nahezu nicht erreicht werden kann. Grundlage für die Berechnungen der BEG ist die „Standardisierte Bewertung“ der Deutschen Bahn, welche vor allem auf Ballungsräume ausgelegt wurde. Die sogenannte „Standi“ wird derzeit überarbeitet und soll bis Ende 2021 vorgestellt werden. Hierbei liegt der Fokus auf die Erstellung mehrerer Versionen um auch den ländlichen Raum besser darstellen zu können.
Dass der Kreistag Schweinfurt trotz der vier genannten Gründe den Reaktivierungsbeschluss von 2019 zum jetzigen Zeitpunkt aufhob, ist aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar. Die Reaktivierungsbemühungen zur Steigerwaldbahn jetzt einzustellen, obwohl sich mehrere, wichtige Parameter zur Validierung voraussichtlich noch dieses Jahr ändern werden, ist voreilig und ein großer Rückschlag in den Klimaschutzbestrebungen des Landkreises Schweinfurt.
Historie der Reaktivierungsbemühungen
2016
- 2016: Nach jahrzehntelangem Stillstand gibt der Förderverein Steigerwaldexpress e.V. auf eigene Kosten eine Studie beim renommierten Verkehrsplaner Dr. Konrad Schliephake (Dipl. Geograph, Lehrbeauftragter am Institut für Geographie und Geologie der Universität Würzburg) in Auftrag.
2017
- 2017: Die Potentialanalyse wird vorgestellt: Für die Gesamtstrecke ergibt sich ein Potential von bis zu 1.319 Rkm (Reisendenkilometer/Tag/beide Richtungen), also deutlich über dem „Richtwert“ der Staatsregierung (1.000 Rkm). Alleine für den Nordteil Schweinfurt-Gerolzhofen (somit dem Landkreis Schweinfurt) errechnet Schliephake ein „starkes“ Potential von 1.702 Rkm oder ein „vorsichtiges“ Potential von 1.628 Rkm.
- 03.08.2017: Die Schliephake-Potentialanalyse wird der BEG und dem Bayer. Verkehrsministerium in München vorgestellt: Mit dabei sind Dr. Schliephake, Lothar Zachmann und Thomas Vizl.
- 25.10.2017: Die BEG bewertet die Schliephake-Potentialanalyse. Zitat Ministerialrat Grillenberger: „Die BEG kommt zu dem Ergebnis, dass die angewandte Methodik bei der Studie von Herrn Professor Dr. Schliephake nachvollziehbar ist und es sich grundsätzlich um ein objektives Gutachten handelt, dessen Ergebnisse auch grundsätzlich als belastbar und plausibel angesehen werden können.„
- 2017: Die BEG weist darauf hin, dass die Potentialanalyse aufgrund verschiedener Herangehensweisen noch keine ausreichende valide Aussage für eine Reaktivierung darstellt.
2018
- 20.07.2018 (Mainpost-Bericht): der Bezirksausschuss Schweinfurt der IHK spricht sich einstimmig für die Ertüchtigung der bestehenden (Bahn-)Strecken und darüber hinaus für die Revitalisierung der Linie Schweinfurt-Gerolzhofen für den Bahnverkehr aus.
- 2018: Im Koalitionsvertrag der Staatsregierung sprechen sich CSU und FW für Reaktivierungen aus: „Stillgelegte Eisenbahnstrecken wollen wir dort reaktivieren, wo es sinnvoll und möglich ist.“
2019
- 07.01.2019: Mit 11 zu 5 Stimmen hebt der Stadtrat von Gerolzhofen seinen Beschluss aus dem Jahr 2016 zur Freistellung (Entwidmung) der Bahnstrecke auf und bekundet sein Interesse an eine Einbindung des Schienenverkehrs in den ÖPNV.
- 28.01.2019: Im Landratsamt findet die Konferenz zur möglichen Reaktivierung der Steigerwaldbahn statt. Alle Interessengruppen sind eingeladen und diskutieren.
- 28.01.2019: kobra NVS GmbH stellt die vom Landkreis beauftragte Potentialanalyse vor. kobra NVS ermittelt ein Potential über 1.000 Rkm.
- 09.03.2019: Die DB schreibt die Bahnstrecke zum Verkauf aus: 576.665 m²; Kaufpreis 780.000 € (1,35 EUR/m²). Käufer ist die Firma Meisner Gleisrückbau, 74677 Dörzbach.
- 14.03.2019: Kreistag Schweinfurt meldet gegenüber der Regierung von Mittelfranken und dem Eisenbahnbundesamt ein langfristiges Verkehrsinteresse für die Steigerwaldbahn an (41: 14 Stimmen, siehe Protokoll der Kreistagssitzung vom 14.03.2019).
- 09.12.2019: Der Kreistag Kitzingen beschließt die Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Reaktivierung der Bahnstrecke Kitzingen/Etwashausen – Gochsheim (Steigerwaldbahn) mit der damit verbundenen vorbehaltslosen Anerkennung der vier Reaktivierungskriterien des Freistaats Bayern (47:9 Stimmen, siehe Protokoll der Kreistagssitzung vom 09.12.2019
- 12.12.2019: Der Kreistag Schweinfurt erkennt die Kriterien des Freistaates Bayern für die Reaktivierung von Bahnstrecken an und fordert die Bayerische Eisenbahngesellschaft auf, die für die Reaktivierung erforderliche Potentialanalyse für die Untere Steigerwaldbahn zu erstellen (55:3 Stimmen, siehe Protokoll der Kreistagssitzung vom 12.12.2019).
2020
- 2020: Das neue Landesentwicklungsprogramm Bayern beschreibt im Kapitel 4.3.3 „Streckenstilllegungen vermeiden – Reaktivierungen ermöglichen“: „Streckenstilllegungen und Rückbau der bestehenden Schieneninfrastruktur sollen vermieden werden. Möglichkeiten von Reaktivierungen sollen genutzt werden. Bayern kann als Flächenland nicht auf eine flächendeckende Vorhaltung der Schieneninfrastruktur verzichten, weil sie Voraussetzung für die Bestellung eines qualitativ hochwertigen Nahverkehrs sowie die flächendeckende Erschließung im Schienengüterverkehr ist. Um die Leistungsfähigkeit der Schieneninfrastruktur zu erhalten, kann Stilllegungen und Rückbaumaßnahmen nur unter engen Voraussetzungen zugestimmt werden. Sofern die Voraussetzungen für Streckenreaktivierungen gegeben sind, bieten diese gegenüber Streckenneubauten die Möglichkeit, die Anbindung Bayerns an das Schienenwegenetz ohne Neuzerschneidungen der Landschaft kostengünstig und flächensparend zu verbessern.„
- 28.04.2020: Beschluss des Stadtrats Schweinfurt das Verfahren zur Prüfung einer Reaktivierung der Steigerwaldbahn einzuleiten (27:17 Stimmen, siehe Protokollauszug der Stadtratssitzung vom 28.04.2020).
2021
- 03.03.2021: BEG veröffentlicht eine Potentialanalyse
- 30.03.2021: Thüringer Eisenbahn GmbH beantragt Unternehmensgenehmigung für die Steigerwaldbahn um touristische Fahrten und Güterverkehr auf der Strecke durchführen zu können (siehe Bayerischer Rundfunk).
- 04.11.2021: Der Kreistag Schweinfurt beschließt seinen Beschluss vom 12.12.2019 aufzuheben (44:9 Stimmen, siehe Protokoll der Kreistagssitzung vom 04.11.2021).
- 16.11.2021: Das Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr hat über den Antrag auf Unternehmensgenehmigung der Thüringer Eisenbahn GmbH in einem nicht-öffentlichen Verwaltungsverfahren entschieden: Der Antrag wurde abgelehnt.
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