Einheit in Vielfalt
Wir alle sind unterschiedlich, aber an Rechten und Würde gleich. Zusammenhalt in Vielfalt setzt voraus, respektiert, anerkannt und gehört zu werden, mitgestalten und teilhaben zu können, ohne Angst frei zu leben und sich als Gleichberechtigte zu begegnen, das Gemeinsame neben den Unterschieden zu sehen. Deshalb werden wir das Leitbild „Einheit in Vielfalt“ zur Gestaltung einer rassismuskritischen und chancengerechten Einwanderungsgesellschaft gesetzlich verankern. Damit die Perspektive und Expertise derjenigen, die von Diskriminierung und struktureller Benachteiligung betroffen sind, gehört werden, sie als Gleichberechtigte die Möglichkeit zur vollen Teilhabe erhalten, wollen wir einen Partizipationsrat, ähnlich dem Deutschen Ethikrat, als ein gesetzlich verankertes und unabhängiges Gremium einführen, mit Vertreter*innen aus der (post-)migrantischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Forschung, die die unterschiedlichen Dimensionen von Vielfalt abbilden.
Um Diskriminierung systematisch abzubauen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern, wollen wir die Themen und Zuständigkeiten, die Gleichberechtigung und Teilhabe an der offenen und vielfältigen Gesellschaft betreffen, bei einem Ministerium bündeln. Dazu werden wir die Aufgaben zur Einwanderungsgesellschaft aus dem Innenministerium herauslösen. Für mehr Repräsentanz und Teilhabe werden wir ein Bundespartizipations- und Teilhabegesetz vorlegen und das Bundesgremienbesetzungsgesetz reformieren. Staatliches Handeln soll auf unsere vielfältige Gesellschaft ausgerichtet sein und Gleichberechtigung sicherstellen. Wer hier dauerhaft seinen Lebensmittelpunkt hat, muss die Möglichkeit haben, an Wahlen, Abstimmungen und allen anderen demokratischen Prozessen gleichberechtigt teilzunehmen, in einem ersten Schritt wollen wir das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige einführen.
Konsequent gegen Rassismus
Rassismus ist Realität im Alltag, auf der Straße, im Netz, in Institutionen. Er betrifft nicht alle von uns gleichermaßen, aber er geht uns alle gleichermaßen an. Der Kampf gegen Rassismus und seine unterschiedlichen Formen, wie zum Beispiel anti-Schwarzer und anti- asiatischer Rassismus, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit dem Ziel der Stärkung der individuellen Rechte aller Menschen. Rassismus und alle Formen von Diskriminierungen stellen nicht nur eine große Gefahr für die betroffenen Menschen dar, sondern bedrohen auch das gleichberechtigte und friedliche Zusammenleben sowie die Sicherheit in Deutschland. Wir wollen den Schutz vor und die Beseitigung von Diskriminierungen, strukturellem und institutionellem Rassismus mit einem staatlichen Gewährleistungsanspruch in der Verfassung verankern, ergänzend zur überfälligen Ersetzung des Begriffs „Rasse“. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) soll zur obersten Bundesbehörde aufgewertet werden – mit mehr Personal, Budget und Kompetenzen. Ihre Leitung soll als Antidiskriminierungsbeauftragte*r vom Deutschen Bundestag gewählt werden.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wollen wir zu einem echten Bundesantidiskriminierungsgesetz weiterentwickeln, das Schutzlücken endlich schließt, Klagen gegen Diskriminierung für Betroffene vereinfacht und ein umfassendes Verbandsklagerecht einschließt, damit gegen Diskriminierung strukturell und nachhaltig vorgegangen werden kann. Das Netz zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen soll flächendeckend ausgebaut und so finanziert werden, dass diese planungssicher und kontinuierlich ihrer Aufgabe nachkommen können. In den staatlichen Institutionen sollen Anlauf- und Beschwerdestellen geschaffen werden. Das Empowerment von Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, wollen wir fördern. Die Black-Lives-Matter-Proteste haben deutlich gemacht, dass Rassismus gegen Schwarze Menschen auch in Deutschland umfassend bekämpft werden muss. Deshalb wollen wir die UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft vorantreiben. Straftaten gegen Schwarze Menschen sollen in Verfassungsschutzberichten explizit ausgewiesen werden. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass anti-asiatischer Rassismus im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus benannt wird. Wir werden die unabhängige Forschung zu Postkolonialismus, Diskriminierung und Rassismus ausbauen, regelmäßig Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten erheben und wissenschaftliche Studien in Bezug auf staatliche Institutionen und Wirksamkeit von Antidiskriminierungsmaßnahmen durchführen. Antirassismus, Antidiskriminierung und Postkolonialismus wollen wir in der Lehrer*innenausbildung und in den Lehrplänen verankern.
Stärkung und Sicherheit für Jüdinnen und Juden in Deutschland
Jüdisches Leben in seiner Vielfalt in Deutschland werden wir konsequent fördern und sichtbar machen. Wir unterstützen Projekte und Initiativen, die sowohl jüdisch-säkulares als auch jüdisch-religiöses Leben, jüdische Kultur und jüdische Bildung stärken. Wir wollen politische und kulturelle Bildungsangebote für alle Bürger*innen zugänglich machen, um Wissen über das jüdische Leben allgemein sowie Kontakte und Erfahrungen mit jüdischen Menschen und Einrichtungen in Deutschland zu vermitteln. Jüdische Menschen in Deutschland müssen sich sicher fühlen können. Ihre Sicherheit und der Schutz jüdischer Einrichtungen und Gemeinden muss umfassend sein. Antisemitische Anschläge in der Gegenwart, allen voran der Anschlag von Halle im Jahr 2019, erinnern uns daran, wie stark weiterhin Judenfeindlichkeit und Judenhass sowie Unwissenheit über die Realität jüdischen Lebens in Deutschland verbreitet sind. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, Antisemitismus, antisemitischen Hassreden – auch im Alltag und egal aus welchen Motiven – mit aller Entschlossenheit entgegenzutreten. Dafür braucht es bessere Analysekapazitäten und eine entschlossene Ahndung und Dokumentation antisemitischer Vorfälle.
Antisemitische Narrative, israelbezogener Antisemitismus und verschwörungsideologische Erzählungen – auch im Zusammenhang mit Demonstrationen von Pandemieleugner*innen – müssen an unterschiedlichsten Orten präventiv adressiert werden, auch und gerade im digitalen Raum. Dafür bedarf es konkreter Sensibilisierungs- und Präventionsprojekte in Vereinen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, für die wir eine Regelfinanzierung wollen. Die Prävention von und Auseinandersetzung mit Antisemitismus soll auch abseits des Geschichtsunterrichts als Leitperspektive in den Lehrplänen verankert werden. Fortbildungen, allen voran der Mitarbeiter*innen von Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden sowie der Gerichte, wollen wir gezielt ausbauen. Es braucht Leitlinien für einen effektiven Schutz jüdischer Einrichtungen, bei deren Entwicklung die jüdischen Gemeinden einbezogen werden müssen. Wir wollen die soziale Absicherung der älteren jüdischen Generation in Deutschland stärken, meist Holocaustüberlebende und ihre Nachkommen, viele aus der ehemaligen Sowjetunion. Sie müssen bei der Rente mit den eingewanderten (Spät-)Aussiedler*innen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion gleichgestellt werden.
Muslim*innen schützen und stärken
Muslimisches Leben in seiner ganzen Vielfalt gehört in Deutschland zu unserer gesellschaftlichen Realität. Gleichzeitig sind Muslim*innen besonders von struktureller Diskriminierung sowie von gewalttätigen Übergriffen betroffen. Die fortdauernden Bedrohungen muslimischer Einrichtungen zeigen, wie dringend nötig Präventionsprogramme sowie umfassende Schutzkonzepte für als muslimisch gelesene Personen und Räume sind. Opfer müssen geschützt, beraten und gestärkt, die Ursachen verstärkt in den Blick genommen werden. Der Staat darf keine Religion diskriminieren oder ungerechtfertigt bevorzugen. Die heterogene und von Muslim*innen als Stärke wahrgenommene Struktur des Islams, die weder eine religiös noch strukturell verankerte Hierarchie kennt, darf ihnen von Seiten des Gesetzgebers deshalb nicht zum Nachteil gereichen. Tatsächliche Gleichstellung setzt rechtliche Gleichstellung voraus. Wir unterstützen daher Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften, die in keiner strukturellen Abhängigkeit zu einem Staat, einer Partei oder politischen Bewegung und dessen oder deren jeweiliger Regierungspolitik stehen und sich religiös selbst bestimmen.
Wir wollen auch progressive, liberale muslimische Vertretungen einbinden, die für Werte wie Gleichberechtigung der Geschlechter, LSBTIQ*-Rechte und Feminismus einstehen und einen lebendigen Glauben innerhalb des islamischen Religionsspektrums praktizieren. Auch zeigen wir uns solidarisch mit Kritiker*innen von fundamentalistisch-politischen Kräften, wenn sie massiv bedroht werden. Für die eigenständige und selbstbewusste Religionsausübung von Muslim*innen ist eine Imam*innen-Ausbildung in Deutschland dringend notwendig. Dafür wollen wir islamisch-theologische und praxisorientierte Aus- und Weiterbildungsprogramme für Imam*innen und islamische Religionsbedienstete in Kooperation mit den Instituten für islamische Theologie bundesweit etablieren und unterstützen. Langfristig geht es darum, den Bedarf der muslimischen Gemeinden an religiösem Personal durch in Deutschland ausgebildete Personen zu decken.
Antiziganismus entschlossen bekämpfen
Immer noch werden Menschen mit Romani-Hintergrund in Europa und Deutschland aufgrund eines tiefsitzenden Rassismus diskriminiert, der bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Immer noch werden Angehörige der größten Minderheit in der Europäischen Union beim Zugang zu Bildung, Gesundheit, Wohnen und Arbeit benachteiligt. Wir wollen deshalb die neue EU-Roma- Rahmenstrategie (Post-2020) umsetzen und die ambitionierten Inklusionsziele der EU erreichen. Dafür braucht es eine mit ausreichend finanziellen Mitteln und Befugnissen ausgestattete „Nationale Koordinierungsstelle“, die die Umsetzung und das Monitoring der deutschen Strategie in Abstimmung mit den Bundesländern, Verwaltungen und Selbstorganisationen übernimmt. Minderheitenrechte wie der Erhalt von Sprache, der Geschichte und Kulturen von Sinti*zze und Rom*nja müssen gewährleistet werden. Wir wollen eine unabhängige, zivilgesellschaftliche Monitoring- und Informationsstelle zur Dokumentation und Aufarbeitung rassistischer Vorfälle und zur Unterstützung der Betroffenen einrichten sowie die Empfehlungen der unabhängigen Expertenkommission Antiziganismus prüfen und umsetzen. Wir werden die Einrichtung eines Studierendenwerks für Sinti*zze und Rom*nja vorantreiben und setzen uns für ein Museum der Geschichte und Kulturen der Sintizze und Romnja in Deutschland ein. Noch immer werden Rom*nja aus Deutschland abgeschoben, selbst wenn sie seit Jahrzehnten hier leben und in ihren Herkunftsländern Diskriminierung erleiden. Deshalb soll die Situation von Rom*nja in ihren Herkunftsländern in Asylverfahren und bei der Prüfung asylunabhängiger Bleiberechte stärkere Berücksichtigung finden.