Eine menschenrechtsorientierte Geflüchtetenpolitik in Europa umsetzen
Wir treten für eine Europäische Union ein, die ihre humanitäre und rechtliche Verpflichtung, den Zugang zum Grundrecht auf Asyl zu garantieren, und die Notwendigkeit, Verfahren nach völkerrechtlichen Standards fair und zügig durchzuführen, einhält. So schwer das derzeit in der EU der 27 auch ist. Deutschland spielt dabei eine zentrale Rolle. Die neue Bundesregierung muss die Menschenrechte und das Asylrecht verteidigen. Zustände wie in den Lagern auf den griechischen Inseln, auf dem Mittelmeer oder an der Grenze zu Kroatien bedeuten einen Bruch mit europäischen Werten und Menschenrechten. Der Blockade einer gemeinsamen und humanen Geflüchtetenpolitik zwischen den Mitgliedstaaten begegnen wir mit folgendem Plan: In gemeinschaftlichen von den europäischen Institutionen geführten Registrierungszentren in den EU-Staaten mit rechtsstaatlich und europäisch kontrollierten Außengrenzen sollen die Geflüchteten registriert werden und einen ersten Check durchlaufen, ob Einträge in sicherheitsrelevanten Datenbanken vorliegen. So wissen wir, wer zu uns kommt, und werden zugleich unserer humanitären Verantwortung gerecht.
Die Menschen, die nach Europa kommen, müssen medizinisch und psychologisch erstversorgt und menschenrechtskonform untergebracht werden. Unter Berücksichtigung persönlicher Umstände wie familiärer Bindungen oder der Sprachkenntnisse bestimmt die EU-Agentur für Asylfragen schnellstmöglich den Aufnahme-Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens. Der zugrunde liegende, zügige Verteilmechanismus stützt sich zunächst auf die Bereitschaft von Mitgliedstaaten, Regionen und Städten, Geflüchtete freiwillig aufzunehmen. Wer das tut, erhält Hilfe aus einem EU-Integrationsfonds. Reichen die Aufnahmeplätze nicht aus, weiten alle Mitgliedstaaten im Verhältnis von Bruttoinlandsprodukt und Bevölkerungsgröße verpflichtend ihr Angebot aus oder leisten einen mindestens gleichwertigen Beitrag zu den Gesamtkosten. Das Asylverfahren findet dann im aufnehmenden Mitgliedstaat statt. Vorgezogene Asylverfahrensprüfungen an den Außengrenzen sind damit nicht vereinbar. Die Kommission stellt sicher, dass die gemeinsamen Regeln und Standards eingehalten werden und für alle Menschen gelten. Wir werden mit handlungswilligen Ländern und Regionen vorangehen, um die derzeitige katastrophale Situation an den Außengrenzen zu beenden. Menschenunwürdige Lager und geschlossene Einrichtungen, Transitzonen oder europäische Außenlager in Drittstaaten lehnen wir ab.
Sichere und legale Fluchtwege schaffen
Niemand sollte für das völkerrechtlich verbriefte Recht, um Asyl zu ersuchen, das eigene Leben oder das der Familie riskieren müssen. Genau das ist aber bittere Realität: Immer noch reichen die Möglichkeiten für sichere Zugangswege bei weitem nicht aus und Geflüchtete sind deshalb gezwungen, auf lebensgefährliche Routen durch die Wüste oder über das Meer auszuweichen. Wir wollen sichere und legale Zugangswege schaffen – damit Menschen Schutz finden und um zu verhindern, dass Schlepper aus der Not und dem Leid der Geflüchteten Profit schlagen können. Dabei sind wir dem besonderen Schutz der Familie gemäß Grundgesetz, VN- Kinderrechtskonvention und Europäischer Menschenrechtskonvention verpflichtet und treten dafür ein, die Einschränkungen beim Familiennachzug wieder aufzuheben. Familien gehören zusammen und das Kindeswohl hat oberste Priorität. Auch Menschen mit subsidiärem Schutzstatus müssen deshalb ihre Angehörigen ohne die bisherigen Einschränkungen nachholen können und mit Geflüchteten gemäß der Genfer Konvention gleichgestellt werden. Wir wollen den Geschwisternachzug wieder ermöglichen.
An deutschen und europäischen Botschaften braucht es mehr Personal und die Möglichkeit, digital Anträge zu stellen, um die Wartezeiten für Visa für Familienangehörige zu verkürzen. In Fällen, in denen die Beschaffung von Identitätsnachweisen durch Schutzberechtigte bei Behörden ihres Herkunftsstaates dort lebende Angehörige gefährdet, setzen wir uns für die pragmatische Erteilung von Passersatzpapieren ein. Auch mit humanitären Visa möchten wir Schutzbedürftigen die Möglichkeit geben, sicher nach Europa zu kommen und hier um Asyl zu ersuchen. Wir setzen uns außerdem für die Aufnahme afghanischer Ortskräfte und ihrer Angehörigen ein, die durch ihre Zusammenarbeit mit deutschen Institutionen wie der Bundeswehr oder der GIZ in Gefahr sind. Das individuelle Asylrecht bleibt unangetastet.
Sichere Zugangswege durch humanitäre Aufnahmepartnerschaft
Im Rahmen des Resettlement-Programms des UNHCR werden durch die Vereinten Nationen anerkannte, besonders schutzbedürftige Geflüchtete solidarisch und geordnet auf die Aufnahmeländer verteilt, statt sie ihrem Schicksal auf gefährlichen Fluchtrouten zu überlassen. Das rettet Leben, nimmt Schleppern die Geschäftsgrundlage und folgt einem bewährten, planbaren Verfahren. Im Globalen Pakt für Flüchtlinge ist die Weltgemeinschaft übereingekommen, das Resettlement zu verstärken. Doch faktisch sinkt die Zahl der Aufnahmeplätze seit Jahren. Wir schlagen vor, zusammen mit der neuen US-Administration und Kanada sowie anderen in einer globalen humanitären Partnerschaft die Aufnahme aus dem Resettlement-Programm deutlich auszubauen und mittelfristig die Erfüllung von mindestens dem jeweils fairen Anteil am jährlichen, vom UNHCR ermittelten Resettlement-Bedarf entsprechend der Wirtschaftskraft zu erreichen. So stärken wir die Vereinten Nationen, werden langfristig der globalen Verantwortung Europas gerecht, schaffen Planbarkeit auf allen Seiten, gehen mit gutem Beispiel voran und regen andere Staaten an, dem internationalen Bündnis beizutreten. Daneben werden wir sicherstellen, dass sich das geplante EU-Resettlement an den UNHCR- Kriterien orientiert. Das individuelle Asylrecht bleibt durch das Resettlement unangetastet.
Landesaufnahmeprogramme und ein Patenschaftsprogramm ermöglichen
Mehrere Bundesländer und über 200 Kommunen in Deutschland sind bereit, mehr Geflüchtete als von der Bundesregierung zugesagt bei sich aufzunehmen. Dass diese weiteren Aufnahmeplätze dringend gebraucht werden, ist angesichts der elenden Zustände in den Lagern an den EU- Außengrenzen, etwa auf den griechischen Inseln oder an der bosnisch-kroatischen Grenze, offensichtlich. Wir wollen eine humanitäre Aufnahmepolitik, bei der der Bund und die Länder kooperativ zusammenarbeiten und die die Aufnahmebereitschaft von Kommunen und Ländern nicht mehr ignoriert. Länder, Landkreise, Städte und Gemeinden sollen mehr Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten erhalten, wenn es um die humanitäre Aufnahme Geflüchteter geht. Mit einer Änderung der Zustimmungsregel zwischen dem Bundesinnenministerium und den Ländern von Einvernehmen in Benehmen wollen wir klarstellen, dass sich Bundesländer künftig über den Königsteiner Schlüssel hinaus selbständig und frei für die Aufnahme von Geflüchteten entscheiden können. Der Bund soll weiter die finanziellen und infrastrukturellen Aufgaben erfüllen und die Aufnahmebereitschaft fördern. Auch europäische Gelder können im Rahmen der aufnehmenden Staaten und Regionen eingesetzt werden. Wir werden wieder verstärkt humanitäre Bundesaufnahmeprogramme sowie Kontingente aus den EU-Staaten mit Außengrenzen auf den Weg bringen. Ein Patenschaftsprogramm nach dem Vorbild Kanadas kann die Willkommenskultur fördern. Gruppen aus Mentor*innen oder Vereine können dabei die Unterstützung von Geflüchteten zusagen und so durch Relocation- und Resettlement-Möglichkeiten konkret Menschen helfen.
Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte an den Außengrenzen sichern
Ein gemeinsamer Raum der Freizügigkeit und ohne Binnengrenzen braucht kontrollierte Außengrenzen. Doch Grenzen sind nur rechtsstaatlich kontrolliert, wenn Menschenrechte an diesen Grenzen geschützt werden und der Zugang zum Recht auf Asyl gesichert ist. Dass tausende Menschen jährlich im Mittelmeer ertrinken, weil europäische Regierungen ihnen nicht ausreichend sichere Zugangswege ermöglichen und auch die Rettung aus Seenot verweigern, ist eine Schande. Wir streiten weiter für eine zivile und flächendeckende, europäisch koordinierte und finanzierte Seenotrettung. Da ein gemeinsames Vorgehen aller europäischen Mitgliedstaaten derzeit nicht möglich erscheint, wollen wir mit jenen Staaten vorangehen, die die Seenotrettung als völkerrechtliche Pflicht ernst nehmen, und einen eigenen Beitrag leisten: Gerettete müssen zum nächsten sicheren Hafen gebracht werden, um dann nach einem Verteilmechanismus unverzüglich auf aufnahmebereite Mitgliedstaaten, Regionen oder Städte aufgeteilt zu werden. Wir stehen fest an der Seite zivilgesellschaftlicher Rettungsinitiativen und treten dafür ein, dass die Kriminalisierung und behördliche Behinderung ihrer Arbeit beendet wird. So wollen wir die Registrierung von Schiffen der Menschenrechtsbeobachtungs- und Seenotrettungsorganisationen rechtssicher und einfacher gestalten.
Wir setzen auf eine europäische Grenzkontrolle, die den gemeinsamen Schutz der Menschenrechte zur Grundlage hat und ihre Aufgaben wahrnimmt, ohne sie zur Fluchtabwehr zu missbrauchen. Das Asylrecht beruht auf der Einzelfallprüfung, das völker- und europarechtlich verbriefte Nichtzurückweisungsgebot gilt immer und überall. Die Genfer Flüchtlingskonvention gilt uneingeschränkt. Ihre Aushöhlung führt weder zu mehr Sicherheit noch zu mehr europäischer Handlungsfähigkeit in der Geflüchtetenpolitik. Dennoch erleben wir derzeit einen systematischen Rechtsbruch an den EU-Außengrenzen: Menschen werden misshandelt, schutzlos auf dem Wasser zurückgelassen oder ohne Zugang zu Asylverfahren abgewiesen. Pushbacks, von nationalen Grenzpolizeien oder Frontex begangen, müssen rechtlich und politisch geahndet werden. Deutschland darf sich an völker- und menschenrechtswidrigen Einsätzen nicht beteiligen, Verstöße müssen verfolgt werden und Konsequenzen haben. Wir werden uns dafür einsetzen, dass Intransparenz und Menschenrechtsverletzungen bei EU- Agenturen wie Frontex keinen Raum mehr haben. Wir unterstützen die europäischen Initiativen, die die strukturellen Probleme beim Menschenrechtsschutz bei den Grenzkontrollen mit strukturellen Veränderungen beheben wollen. Das staatliche und zivilgesellschaftliche Menschenrechtsmonitoring, vor allem durch die EU-Grundrechteagentur, wollen wir ausbauen. Es bedarf einer engen parlamentarischen Kontrolle von Frontex-Einsätzen sowie einer systematischen Menschenrechtsbeobachtung vor Ort.
Aufnahme- und Transitländer unterstützen
Die humanitäre Versorgung von Geflüchteten außerhalb der Europäischen Union ist Bestandteil unserer globalen Verantwortung. Wir wollen die finanzielle und logistische Unterstützung von Erstaufnahme- und Transitländern wie der Türkei, dem Libanon, dem Sudan, Pakistan oder Uganda sowie der dort tätigen Hilfsorganisationen ausbauen. Die deutsche und europäische Zusammenarbeit mit Drittstaaten muss stets so erfolgen, dass Menschen- und Grundrechte sowie internationale Asylstandards eingehalten werden. Sie darf außerdem nicht auf die Verhinderung von Flucht abzielen, wie es derzeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache und der Erdogan-Regierung der Fall ist. Die bestehenden „Migrationspartnerschaften“, die Fluchtabwehr und Rückführungen zur Bedingung etwa von Entwicklungszusammenarbeit machen, lehnen wir daher ab, genauso wie die Kooperation mit der libyschen Küstenwache. Statt „sichere Herkunftsländer“ zu definieren, brauchen wir für Rückführungen menschenrechtskonforme Rückübernahmeabkommen. Wir wollen denjenigen Ländern, die ihren Staatsbürger*innen nach einer Rückkehr Sicherheit effektiv garantieren, im Gegenzug über Visaerleichterungen oder Ausbildungspartnerschaften verlässliche Aussicht auf eine geordnete Migration eröffnen. Rückübernahmeabkommen dürfen aber nicht zur Bedingung in anderen Politikbereichen, etwa entwicklungspolitischer oder rechtsstaatlicher Unterstützung, gemacht werden, nicht für Drittstaatsangehörige gelten oder das Einwanderungsrecht konterkarieren.
Fluchtursachen strukturell angehen
Uns ist bewusst: Nicht alle Ursachen von Vertreibung können wir beeinflussen. Viele Menschen fliehen, weil sie verfolgt oder ihnen grundlegende Rechte vorenthalten werden. Umso entscheidender ist konsequentes Handeln überall dort, wo auch unser Wirtschaften und Konsumieren andernorts zu Ausbeutung oder Perspektivlosigkeit führen. So wollen wir verhindern, dass Menschen überhaupt fliehen und ihre bisherige Heimat unfreiwillig verlassen müssen. Deshalb rücken wir die strukturellen Ursachen von Flucht und Vertreibung und unsere dahin gehende Verantwortung ins Zentrum unserer Politik. Denn viele politische Entscheidungen, die wir in Deutschland und Europa treffen, haben direkte Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in anderen Weltregionen. Wir machen uns deshalb stark für zivile Krisenprävention und wollen mit einer restriktiven Ausfuhrkontrolle europäische Rüstungsexporte an Diktaturen, menschenrechtsverachtende Regime und in Kriegsgebiete beenden. Wir setzen uns für ein gerechtes Handelssystem ein, das auch den Interessen der Menschen im globalen Süden dient. Und wir treiben die sozial-ökologische Transformation unserer Wirtschaft voran.